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Kontaktabbruch ist meist das letzte Mittel, um sich aus toxischen Familiensystemen zu befreien. Viele Therapeuten raten dazu, damit die Klienten den ständigen Problemen in der Familie aus dem Weg gehen und endlich ihr eigenes Leben finden. Doch es bleiben das schlechte Gewissen, Schuldgefühle auf der einen und Unverständnis, Schmerz auf der anderen Seite. Ist das die Lösung?

Verständnis für die Kriegskinder?

Unsere Elterngeneration sind Kriegskinder. Sie sind zwischen 1928 und 1946 geboren. Ihre Eltern waren auch Kriegskinder des 1. Weltkrieges. Die Belastungen, die die Erlebnisse rund um das Kriegsgeschehen aktiv oder passiv ausgelöst haben sind riesig. Natürlich trifft das Folgende nicht auf alle gleichermaßen zu. Doch viele Menschen in Deutschland sind davon betroffen.

Diese Generation hat es nicht gelernt, Schmerz und Emotionen zu empfinden oder darüber zu reden, sondern sie haben viele Erlebnisse einfach bewußt vergessen, vergraben. Geredet wurde nur über das Allgemeine, aber nicht über die Verbrechen, die Ängste, die Taten, die an ihnen vergangen wurden. Oder sie wurden so erzählt als ob es kein Problem gewesen wäre.

Zudem kam das System, daß die Kinder auf den Krieg vorbereitet hat. Es wurden ihnen bestimmte Verhaltensweisen antrainiert und Gefühle waren nicht erwünscht. Die Erziehung wurde hart vorgenommen, damit sich die Kinder unterordnen. So sind auch beispielswiese viele narzisstische Verhaltensweisen entstanden. Kriegskinder haben Verfolgung, Kriegstaten, Gewalttaten von Fremden und in der Familie (Prügel) und Flucht und Vertreibung, den Verlust von Hab und Gut und lieben Menschen erlebt.

“Niemand sollte einen anderen Menschen verurteilen, bevor er sich nicht in absoluter Ehrlichkeit selber gefragt hat, ob er in einer ähnlichen Situation nicht vielleicht dasselbe getan hätte.“ Viktor Frankl

Kontaktabbruch

Es wurde nicht gefragt oder gesagt:

  • Wie geht es Dir?
  • Was braucht Du?
  • Wie fühlst Du Dich?
  • Warum weinst Du?
  • Hat es doll weh getan?
  • Was möchtest Du gern werden?
  • Ich habe Dich lieb!
  • Du bist toll so, wie Du bist!
  • Du kannst alles tun, was Du möchtest!

Individualität und Emotionen waren verpönt

Es gab keine Zeit und Erlaubnis in sich hineinzuhorchen, wie es einem gerade geht. Zudem hätte das die Traumata der Vergangenheit heraufbeschworen. Das wollte niemand, weil niemand mit den Emotionen umgehen wollte und konnte. Sie haben also nie getrauert um das Leid, die Erlebnisse, den Verlust und das Erlebte.

Es wurde auch keine Individualität gefördert. Alles wurde entweder dem Familienwille oder dem System untergeordnet. Kriegsenkel, also die Kinder dieser Kriegskinder mussten oft die damaligen Bedürfnisse und Wünsche der Eltern stellvertretend erfüllen. Sie sollten unbedingt Abitur machen oder studieren, weil die Eltern es nicht konnten oder durften. Ein Wunsch war, daß sie Berater der Eltern sein sollten. Sie sollten keine Last sein, sie sollten fleißig, perfekt, gehorsam, unkompliziert sein. Gefühle wurden sogar oft verspottet:

  • „Stell Dich nicht so an!“
  • „Reiß Dich zusammen!
  • „Sei keine Last!“
  • „Das tut doch gar nicht weh!“
  • „Du hast doch noch nie richtig Hunger verspürt!“

Das soll keine Entschuldigung für das Verhalten der Kriegskinder gegenüber ihren Kindern sein sondern es ist wichtig zu wissen, wie sie aufgewachsen sind, um es zu verstehen. Kriegskinder haben ihre Traumata an die Kriegsenkel meist weitergegeben. Es gab keine individuell persönliche Aufarbeitung und auch die gesellschaftliche Aufarbeitung der Weltkriege und der Emotionen ist zu gering.

„Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“ Johann Wolfgang von Goethe

Was hat das mit den Kriegsenkeln gemacht?

Kriegsenkel kennen ihre Rolle als Tochter oder Sohn nicht. Viele Menschen haben es nicht erlebt, daß ihre Eltern sich um sie liebevoll gekümmert haben. Wir Kriegsenkel wurden erzogen, aber meist nicht mit ganz viel Liebe und Freiheit sondern mit Regeln und Erwartungen. In diesen Familien konnte etwas Wesentliches von den Kriegskindern nicht an die Kriegsenkel vermittelt werden:

  • Sicherheit
  • Halt
  • Geborgenheit
  • Verlässlichkeit und
  • Wertschätzung.

Jeder in der Familie hatte seine „Aufgabe“ und die Geschwister haben meist um die Anerkennung und Liebe der Eltern gebuhlt. Offene Kommunikation und Reflexion gab es nicht. Vieles blieb einfach im Raum stehen oder wurde abgetan. Das hinterließ Spuren.

Oftmals hat das dann auch zwischen den Geschwistern Spuren hinterlassen. Es sind sozusagen Rechnungen zwischen ihnen offen geblieben. Ganz viel Enttäuschung, Wut, Schmerz und Traurigkeit ist da, daher tun sich viele eben auch mit den Geschwistern schwer. Vielleicht durfte der Bruder studieren und die Schwester musste eher was Hauswirtschaftliches lernen. Der Eine hatte das Gefühl, der andere wird bevorzugt. Die Verbindung der Eltern zu den einzelnen Kindern ist eben oft sehr verschieden.

Das schafft Frust und viele Vorwürfe (offen oder im innern). Leider gibt es auch hier keine offene Gespräche, um das aufzuarbeiten. Und somit geht es weit über den Tod der Eltern hinaus, das Erben ist oft nicht leicht, umstritten und nicht gleichberechtigt. Oft fühlen sich die Geschwister in eine Parteilichkeit gezwungen oder solidarisieren sich mit den trauernden Eltern oder Geschwistern.

Viele Wunden sind tief. Enttäuschung und unerfüllte Bedürfnisse kennen Kriegsenkel auch allzu gut. Daher haben sich Viele für den Kontaktabbruch zu ihren Eltern und/oder auch Geschwistern entschieden, weil sie den Schmerz und Streit nicht mehr ertragen. Doch der Schmerz bleibt meist. Wenn jetzt die Kriegsenkel nichts für sich tun, wird das Erbe in die nächsten Generationen weiter und weiter gegeben. Daher widme ich im Coaching diesem Thema. 

Mein Umgang mit meinen Eltern

Für mich war es ganz wichtig zu verstehen. Ich habe versucht, mich in die Lage meiner Eltern zu versetzen und für mich nachzuempfinden, was sie erlebt haben mussten. Das war sehr schwer, denn ich wußte viel zu wenig. Mein Vater hat uns erst vor 2 Jahren die Geschichte seiner Flucht erzählt. Und meine Mutter hat viele allgemeine Geschichten von zuhause berichtet, aber erst vor Jahren sagte sie, wie sehr sie sich eine Umarmung meiner Oma gewünscht hätte.

Auch zu verstehen, daß sie aus ihrer Sicht das Beste für mich gegeben haben, war nicht leicht. Sie dachten, daß eine gute, strenge Erziehung, die Lebensplanung für mich zu übernehmen, zu entscheiden, was ich studieren soll, richtig für mich wäre. Leider war das nicht immer das Beste für mich. Ich hätte mir gewünscht, daß sie auch meine Wünsche mal gehört hätten. Doch es war ihnen nicht möglich.

Aufgrund des Alters meiner Eltern machte eine direkte Konfrontation oder ein Kontaktabbruch für mich keinen Sinn mehr. Zudem hat es diese Generation nicht gelernt, reflektiert auf sich zu schauen. Daher konnte ich nicht erwarten, daß sie verstehen, was in mir vorgeht. Wer das ein Leben lang nicht gelernt hat, sich in andere hineinzuversetzen, kann es mit über 80 auch nicht mehr. Ich habe versucht, meinen Frieden für mich zu machen. 

Irgendwann habe ich erkannt, daß es für mich das Beste ist, anzunehmen, was passiert ist, Ihnen zu verzeihen und mich mit meinen Gefühlen für mich allein auseinanderzusetzen. Mir war es sehr wichtig, meine Emotionen für mich zu benennen, meine Wut, Enttäuschung, Erwartungen, Traurigkeit und und und zuzulassen und zu verstehen.

Ich habe sozusagen die Arbeit für meine Eltern mit übernommen. Dadurch kann ich heute über viele Situationen lächelnd hinwegsehen und der Ton ist wesentlich entspannter geworden zwischen uns uns. Plötzlich darf ich noch neue, schöne Erfahrungen machen. Das war mein Weg ohne Kontaktabbruch gesund zu werden und meinen eigenen Weg zu finden und ich bin immer noch dabei.

Kontaktabbruch ja oder nein?

Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort. Das Thema ist viel zu komplex. Alles, was ich bereits beschrieben habe zu Kriegskindern betrifft nicht unbedingt auch die Kriegsenkel. Es sind ca. 30% der Kriegskinder laut Ingrid Meyer-Legrand schwer traumatisiert, 30% leicht traumatisiert und der Rest scheint resillient zu sein. Wer wohlbehalten in Liebe aufgewachsen ist und eine gute Bindung zu den Eltern hat, kennt das Thema nicht.

Eine gute Freundin von mir hat den Kontaktabbruch zu Ihren Eltern nach ihrer Erkrankung über Jahre durchgezogen. Das war für sie richtig und wichtig. Bei ihren Eltern hat es etwas ausgelöst. Sie haben sich mit den Themen der Tochter beschäftigt, die sie ihnen in einem Brief geschrieben hat. Als sie Jahre später den Kontakt wieder aufgenommen hat, konnten sie Einiges miteinander aufarbeiten und so klären. Das war eine Erleichterung für beide Seiten.

Andere Menschen kommen ins Coaching und berichten, wie sehr sie unter dem Kontaktabbruch leiden, obwohl sie ihn selbst gewählt haben. Schuldgefühle, die Angst, was ist, wenn die Eltern dann sterben und keine Versöhnung mehr stattfindet, waren immer präsent. Oder auch das Problem, wenn die Eltern pflegebedürftig werden, was soll man dann tun? Ist man ihnen verpflichtet oder dürfen sich Kinder verweigern?

Was man alles erleiden muss, bloß weil es die eigenen Eltern sind, muss jeder für sich entscheiden. Der Leidensdruck scheint bei vielen Menschen echt dehnbar zu sein. Viele Menschen fühlen sich verpflichtet. Das ist keine gute Basis für ein gesundes Leben.

Ein 3-Stunden-Coaching kann bereits Ihre Themen aufdecken und eine Linderung bringen. Buchen Sie direkt hier Ihren Kennenlernen-Termin.

Klarheit und Liebe

Kontaktabbruch

Nur wer es schafft, für sich selbst wirklich Klarheit, ehrliche Offenheit ohne Anklagen und Frieden mit der Situation zu schaffen, erträgt auch die Konsequenzen. Die eigene Wut, Enttäuschung, noch vorhandene Bedürfnisse zu kennen und anzunehmen ist dabei sehr wichtig. Es ist jetzt wichtig zu lernen, sich selbst die Bedürfnisse zu erfüllen und der beste Freund für sich selbst zu werden. Jeder muss also seinen eigenen Weg finden und mit sich selbst ins Reine kommen.

Eins ist mir noch ganz wichtig: Eltern haben immer versucht, ihr Bestes gegeben. Auch, wenn es nicht immer das war, was Kriegsenkel gebraucht oder sich gewünscht haben. Bei allem, was Eltern für Kinder tun bleibt nichts offen. Das heißt: Kinder sind den eigenen Eltern nichts schuldig! Eltern haben sich (hoffentlich) aus Liebe für Kinder entschieden und sollten alles aus Liebe geben ohne eine Rechnung aufzumachen und Rückforderungen zu erstellen. Wenn Kriegsenkel etwas für ihre Eltern tun, sollte das auch aus reiner Liebe passieren und nicht, um etwas zu wollen, zurückzubekommen oder eine Rechnung zu begleichen.

„Warum schließen wir unsere Augen, wenn wir beten, weinen, küssen oder träumen? Weil die schönsten Dinge im Leben nicht gesehen, sondern vom Herzen gefühlt werden.“ Denzel Washington

Wenn Sie sich für den Kontaktabbruch entscheiden, sollten Sie Ihren Eltern gedanklich Liebe schicken, loslassen und verzeihen. Und wenn Sie sich gegen den Kontaktabbruch entscheiden, sollten Sie prüfen, ob sie alles für Ihre Eltern und Geschwister aus Liebe tun oder um etwas dafür zu bekommen. Auch ein liebevolles NEIN ist völlig in Ordnung. Sie müssen nichts!

Toll ist, wer noch zu Lebzeiten in Gesprächen mit den Eltern alles klären und aufräumen kann. Wer das nicht kann, sollte die Arbeit für sich allein tun, um endlich frei zu sein. Sie werden dafür mit Liebe belohnt. Sie kommt plötzlich von einer ganz unerwarteten Seite und das ist ein wunderbares Geschenk!

„Wir machen als Menschen alle Fehler. Der schwerste Fehler jedoch ist, den Fehler nicht zu erkennen, den wir gemacht haben, denn damit verhindern wir Veränderung.“ Dr. William Emerson

Ist Ihr Verhältnis zu Ihren Eltern oder Geschwistern auch belastet? Überlegen Sie einen Kontaktabbruch? Quält Sie die ein oder andere Erinnerung? Vielleicht hilft Ihnen jetzt ein unbeteiligter Dritter, der Ihnen mal zuhört und mit Ihnen gemeinsam Auswege findet? Gern können wir im 3-Stunden-Coaching darüber sprechen oder wir klären es per Telefon. Ich freue mich auf Sie!

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